Nachhaltigkeit digital diskutiert - ein Podcastprojekt mit Schüler*innen in Deutschland und Kamerun

Mehr als 7000 Kilometer liegen zwischen der Hans-Ehrenberg-Schule in Bielefeld und dem Collège Henri Vieter in Yaoundé. Doch durch ein spannendes Projekt erhielten die Schüler*innen des Differenzierungskurses Erdkunde einen Einblick in ein kamerunisches Klassenzimmer. Aus dem Austausch mit den kamerunischen Deutschlernenden entstand ein sehr hörenswerter Podcast.

Durch Videokonferenzen erhielten die Schüler*innen des Differenzierungskurses Erdkunde einen Einblick in ein kamerunisches Klassenzimmer und die kamerunischen Deutschlernenden in ein deutsches Klassenzimmer. Sie winkten sich zu, stellten einander Fragen. Wieviele Stunden Schule habt ihr pro Woche Schule? Wie kommt ihr zur Schule? Wieviele Geschwister habt ihr? Während die einen überrascht waren, dass Schüler*innen in Kamerun 45 Stunden pro Woche in der Schule verbringen und viele mit dem Taxi zur Schule fahren, wunderten sich die anderen über die kleinen Familien in Deutschland und darüber, dass in Deutschland keine Schuluniform getragen wird. Den Schüler*innen in Deutschland fiel auf, dass die Schule in Kamerun sehr groß war und alle Lernenden einen Computer vor sich stehen hatten. Den kamerunischen Schüler*innen fiel die hohe Geschwindigkeit auf, mit der die Schüler*innen in Deutschland Deutsch sprachen.

Das virtuelle Austauschprojekt wurde in Deutschland von Lisa Mauritz (Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Promovierende zu virtuellem Austausch im Fach Deutsch als Fremdsprache an der Universität Bielefeld, Referentin für rassismuskritische Bildung bei vielfalt bewusst leben) in Kooperation mit dem Fachlehrer Laurenz Steinmeier geleitet.  In Kamerun wurde das Projekt von Liliane Diffo (Deutschlehrerin und Vorsitzende von LiSy Creative Education Cameroon) in Kooperation mit der Fachlehrerin Solange Doumbe geleitet.

Wer neugierig geworden ist, kann auf Spotify oder Youtube weiterhören und im Blog oder einfach hier auf der Homepage weiterlesen! 

Fünf Wochen lang lernten sich die beiden Gruppen im Frühling 2025 virtuell kennen und tauschten sich auf Deutsch durch WhatsApp-Videos/Audios und Fotos über das Thema Nachhaltigkeit aus - ein Thema, das uns alle betrifft und das nur durch globale Zusammenarbeit angegangen werden kann.  Aus den WhatsApp-Audios sind am Ende des Projekts sieben Podcast-Folgen zu unterschiedlichen Nachhaltigkeitszielen (SDGs) der Vereinten Nationen entstanden, in denen sich die Schüler*innen darüber austauschen, welche Rolle die Themen Armut (SDG 1), Hunger (SDG 2), Gesundheit (SDG 3), Geschlechterungleichheit (SDG 5), weniger Ungleichheiten (SDG 10), nachhaltiger Konsum (SDG 12) und Klimaschutz (SDG 13) in ihrem Land und in ihrem Alltag spielen, was ihnen Sorgen bereitet und was ihnen Hoffnung macht. Am Ende reflektieren die Gruppen darüber, was sie aus dem virtuellen Austauschprojekt mitnehmen.

Im Laufe des Projekts haben sich die Schüler*innen ausgehend von den Texten zu den unterschiedlichen SDGs auf https://17ziele.de/ und durch den Austausch eigener Gedanken, Gefühle und Erfahrungen intensiv mit globalen Herausforderungen auseinandergesetzt und ihre eigene Verantwortung reflektiert. 

Felix (D) begründet seine Wahl des SDG 1 folgendermaßen: „Mir persönlich war es sehr wichtig, der GruppeKeine Armut beizutreten, weil für mich Armut zu bekämpfen der erste Schritt in eine gerechtere und nachhaltigere Welt ist. Es bedeutet, dass wir in der Lage sind, Menschen Zugang zu grundlegenden Lebensmitteln, sauberem Wasser, Bildung, aber auch einem ordentlichen Gesundheitssystem zu ermöglichen. Sind wir in der Lage, Armut zu reduzieren, können wir Menschen helfen, ihr volles Potenzial zu entfalten." Sharon beschreibt die Situation in Kamerun in Bezug auf Armut, indem sie anhand von Fotos zeigt, wie unterschiedlich der Zugang zu Wasser sein kann. Während der Zugang zu Wasser und Strom für tiefer gelegene Häuser schwierig sei, falle bei den höher gelegenen Häusern auf, „dass sie groß sind, was darauf hindeutet, dass diese Menschen einfacheren Zugang zu Wasser und Strom haben. Um dort zu bauen, muss man über genügend Geld verfügen. [...] Die dort lebenden Bewohner [haben] ein Bohrloch für Wasser." Alex (D) teilte ein Foto, auf dem sein Tennisrucksack und ein Fernseher zu sehen ist, auf dem ein Fußballspiel läuft, denn für ihn bedeutet Keine Armut, dass „jeder seinen Sport ausüben kann, wie er es möchte und Zugang zu solchen Sportquellen hat, dass man sich solche Sachen angucken kann." Die Bielefelder Gruppe kommt zu dem Schluss: „Armut spielt in unserem Alltag eigentlich keine Rolle. [...] Trotzdem erleben wir Armut, wenn wir zum Beispiel durch die Stadt laufen und Obdachlose an den Straßenrändern sehen."

Dieser Austausch zeigt, dass die Situation in Bezug auf Armut innerhalb beider Länder als heterogen wahrgenommen wird.

Bei dem SDG 2 - Kein Hunger - wurde intensiv diskutiert. Marilyn (K) reflektierte über ihre eigenen Gewohnheiten: „Ich war dankbar für meine Situation, weil ich es schaffe, mich satt zu essen, und war wütend auf mich selbst, weil ich manchmal das Essen wegwerfe, obwohl es Menschen gibt, die nicht essen.“ Carel (K) ergänzte: „Was mich beunruhigt, ist, dass Menschen Lebensmittel verschwenden und manche Menschen an Krankheit aufgrund von Unterernährung sterben.“ Diese Aussagen verdeutlichten, dass das Bewusstsein für nachhaltige Ernährung und gerechte Verteilung von Lebensmitteln gestärkt werden muss. 

Auch die Schüler*innen aus Deutschland setzten sich mit ihren alltäglichen Ernährungsgewohnheiten kritisch auseinander.

Doroteja (D) betont: „Für mich bedeutet das Ziel, dass ich mein Essen mehr wertschätzen sollte und auch nichts wegschmeißen sollte, da manche Menschen in Teilen der Welt nicht so eine gute Ernährung wie wir haben oder gar nichts zu essen haben.“ Ihre Aussage zeigt, dass das globale Ungleichgewicht in der Ernährung auch bei Jugendlichen in Deutschland zu einem Umdenken führen kann. Der bewusste Umgang mit Lebensmitteln wird als ein erster wichtiger Schritt zur Erreichung des SDG 2 erkannt.

Leni (D) berichtet: „Also in meinem Alltag versuche ich, keine Lebensmittel wegzuwerfen und mich gesund zu ernähren. Doch sich gesund zu ernähren ist nicht immer einfach, da Gemüse und Obst zum Beispiel viel teurer sind als Fastfood. Deshalb gibt es auch eine so hohe Fettleibigkeit in Deutschland.“ Ihre Reflexion weist darauf hin, dass gesunde Ernährung oft auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit und der wirtschaftlichen Möglichkeiten ist. Nachhaltigkeit im Bereich Ernährung ist somit nicht nur ein globales, sondern auch ein lokales soziales Thema, bei dem es auch darum geht, wie unsere Gesellschaft mit Preisen, Einkommen und Zugang zu gesunden Lebensmitteln umgeht.

Beim SDG3 - Gesundheit und Wohlergehen - kritisiert Konrad (D) die alltägliche Verschwendung beim Essen: „Anstatt sich 10 Kilo von etwas draufzuhauen auf den Teller, sollte man mal drüber nachdenken, ob man das wirklich schafft.“ Dieser Gedanke spiegelt ein wachsendes Bewusstsein für gesunde Ernährung und nachhaltigen Konsum in Deutschland wider – ein Aspekt, der auch mit SDG 12 verknüpft ist. Till (D) weist zudem auf ein zunehmend relevantes Thema in Deutschland hin: „Ein weiteres großes Problem ist in Deutschland auch noch psychische Gesundheit. Es gibt viele Menschen, die an Angst und Stress leiden. [...] Es gibt zwar Hilfsangebote, aber oft sind die Wartezeiten lang und Therapieplätze sehr begrenzt.“ Die Aussage macht deutlich, dass psychische Gesundheit zwar zunehmend thematisiert wird, der Zugang zu Unterstützung aber noch ausbaufähig ist – auch aufgrund finanzieller Hürden. Anthony (K) äußert seine Besorgnis vor allem im Hinblick auf globale Gesundheitskrisen: „Ich mache mir besonders Sorgen über die Vermehrung von Pandemien und Epidemien und deren Folgen. [...] Wir müssen Hand in Hand daran arbeiten, diese Ziele zu erreichen.“ Hier wird deutlich, wie stark Gesundheit als globales Gut verstanden wird – und wie sehr auch Schüler*innen in Kamerun die Notwendigkeit internationaler Solidarität betonen. Ein Wunsch nach lebenswerten, gesunden Städten wird ebenfalls geäußert. Till (D): „Ich wünsche mir, dass unsere Stadt in der Zukunft ein schöner und sehr lebensfreudiger Ort bleibt. Es sollte mehr grüne Flächen geben [...] und sichere Wege für alle.“ Konrad (D) ergänzt: „Ich wünsche mir, dass es den Menschen in Zukunft gelingt, den Zugang zu Gesundheitsdiensten für alle zu ermöglichen.“

Diese Stimmen verdeutlichen, dass Gesundheit in beiden Ländern nicht nur medizinisch, sondern auch als ganzheitliches Wohlbefinden betrachtet wird – physisch, psychisch und sozial.

In Bezug auf das SDG 5 - Geschlechtergleichheit -  beschreibt Clara (K) die Realität vieler Frauen in Kamerun mit eindrucksvollen Worten: „Die Situation in meinem Land [...] ist, dass Frauen zu Hause keine Pause machen. [...] Sie werden sexuell angegriffen und [...] sexuell belästigt, um einen Job zu haben.“ Ihre Aussage macht deutlich, dass Gleichstellung nicht nur eine Frage des Rechts, sondern auch der alltäglichen Sicherheit und Würde ist. Sarah (D) beschreibt die Situation in Deutschland ebenfalls kritisch: „Es gibt an Führungspositionen auch viel weniger Frauen als Männer. [...] Auch im Bundestag ist [...] nur jedes dritte Mitglied eine Frau.“ Hier wird sichtbar, dass strukturelle Ungleichheiten trotz rechtlicher Gleichstellung weiterbestehen. Für Paula bedeutet SDG 5 auch eine persönliche Betroffenheit: „Für mich persönlich ist mein SDG ziemlich wichtig, denn gerade als Mädchen bin ich ja die, die [...] unter diesen Unterschieden leidet. [...] Gerade der Aspekt mit der Gewalt macht mich natürlich ein wenig ängstlich.“ Diese Reflexion verdeutlicht, dass auch in Deutschland das Thema Gendergewalt und Chancengleichheit nicht abgeschlossen ist. Dominik (D) betont ein besonders sensibles Thema: „Mir persönlich macht vor allem Sorge, dass [...] Sexualstraftäter eine sehr geringe Bestrafung bekommen. [...] Es gibt keine gerechten Strafen für Menschen, die solche grausamen Taten begehen.“ Seine Worte bringen ein tiefes Bedürfnis nach Gerechtigkeit zum Ausdruck – ein Anliegen, das weltweit Bedeutung hat.

Die Aussagen zeigen: In beiden Ländern ist SDG 5 ein drängendes Thema, das nicht nur politische Maßnahmen, sondern auch gesellschaftliches Umdenken erfordert. Während für die kamerunischen Gruppenmitglieder der Kampf gegen grundlegende Diskriminierung und Gewalt im Vordergrund steht, bewegt die Gruppe in Deutschland vor allem die strukturelle Benachteiligung und das Sicherheitsgefühl.

Das SDG 10 - Weniger Ungleichheiten – „spielt in meinem täglichen Leben eine wichtige Rolle, weil es mir ermöglicht, sowohl in akademischer als auch in sozialer Hinsicht die gleichen Chancen und Rechte zu haben wie andere“, sagt Audrey (K). Sie teilte Fotos von reichen und ärmeren Stadtvierteln in Yaoundé. Ein anderer Teilnehmer teilte ein Foto eines großen, luxuriösen Hauses, das seine Familie im Dorf gebaut hat. Diese Bilder trugen auf deutscher Seite zu einem differenziertern Afrikabild bzw. Bild von Kamerun bei, wie bei Pascal (D) in Bezug auf Armut und die Kenntnis der deutschen Sprache: „Ich habe jetzt ein anderes Bild von Kamerun. Früher hätte ich eher gedacht, dass die Leute arm sind da und dass sie die deutsche Sprache vielleicht gar nicht sprechen oder sie verabscheuen. Aber durch den Austausch habe ich in Erfahrung gebracht, dass die Leute in Kamerun gar nicht so arm sind, dass es auch viele reichere Leute gibt und dass sie die deutsche Sprache lieben und hoffen, dass sie durch die deutsche Sprache neue Wege gehen können.“ 

In der Gruppe zum SDG 12 - Nachhaltiger Konsum - begründet Caro (D) ihre Themenwahl folgendermaßen:„Für mich bedeutet Nachhaltigkeit besonders das Leben im Einklang mit der Natur und darauf zu achten, was man kauft oder was man isst. Das ist auch der Grund, warum ich das Thema „Nachhaltiger Konsum“ gewählt habe, denn es ist wichtig, regional und saisonal zu kaufen, denn andernfalls wäre es schlimm fürs Klima.“ Caro und Henri (D) teilen ein Bild einer Gemüseabteilung im Supermarkt in ihrer Gruppe, weil es für sie Konsum zeigt, der nicht nachhaltig ist. Es sei darauf Essen im Überfluss zu sehen, das teilweise weder regional, noch saisonal ist, und lange Lieferwege hinter sich hat.

Tony (K) äußerte seine Bedenken über die verschwenderische Nutzung von Ressourcen: „Was mich beunruhigt, ist die Tatsache, dass unverantwortlicher Konsum das gesellschaftliche Fortbestehen gefährdet, weil die Überschreitung der Regenerationsfähigkeit besonders verheerend für zukünftige Generationen ist.“Diese Reflexion verdeutlicht, dass ein Wandel im Konsumverhalten dringend notwendig ist.

Die Gruppe zu SDG 13 - Maßnahmen zum Klimaschutz - tauschte sich unter anderem über das Thema Recycling in beiden Ländern aus: „In Kamerun werden Kunststoffmaterialien gesammelt, zum Beispiel auch Flaschen, und diese werden recycelt. Das Ganze läuft zwar ein bisschen anders ab, also dort werden sie von den Einwohner*innen gesammelt. [...] In der Gruppe konnten wir uns darüber austauschen, dass wir auch so ein System haben, in dem wir unsere Flaschen sammeln und recyceln. Also gibt es dort auch eine Gemeinsamkeit", fasst Asya (D) zusammen.

Das Thema Klimaschutz löste auch nachdenkliche Fragen aus. Djokam (K) drückte ihre Besorgnis mit den Worten aus: „Als ich diesen Text las, fragte ich mich, ob der durch den Klimawandel verursachte Schaden rückgängig gemacht werden könnte.“ Diese Frage spiegelte die Unsicherheit vieler Schüler*innen wider, ob es noch eine Möglichkeit gibt, die bereits angerichteten Schäden zu beheben.

Trotz der Sorgen gab es auch optimistische Stimmen. Meka (K) betont: „Was mir Hoffnung gibt, ist, dass jeder weiß, was passiert. Angesichts des Ernstes der Lage wird jeder sein Möglichstes tun, um Veränderungen herbeizuführen.“ Arthur (K) zeigte sich ebenfalls zuversichtlich: „Was mir Hoffnung gibt, ist, dass viele Länder wie Deutschland hart daran arbeiten, die Gleichheit zwischen Arm und Reich wiederherzustellen.“ Auch Carel (K) äußerte ihre Hoffnung: „Was mir Hoffnung gibt, ist, dass im Jahr 2030 alles wieder normal sein wird.“

Auch die Schüler*innen aus Deutschland reflektierten konkrete Handlungsmöglichkeiten im Alltag.

Emilija (D) erklärte: „Bezüglich des Klimaschutzes kann man noch weniger Auto fahren, also klimafreundlichere Verkehrsmittel benutzen. Auch die Massentierhaltung schadet dem Klima ja extrem. Deshalb ist es durchaus sinnvoll, den Fleischkonsum zu reduzieren. Und es ist auch wichtig, sich allgemein zu informieren, damit man andere aufklären kann und wir eine nachhaltigere Welt haben. Jede Handlung zählt.“ Ihre Aussage macht deutlich, dass individuelles Verhalten – wie bewusster Konsum und Informationsweitergabe – eine wichtige Rolle im Kampf gegen den Klimawandel spielt. Sie unterstreicht die Verantwortung jedes Einzelnen und die Bedeutung von Bildung und Aufklärung für einen langfristigen Wandel. Laurena (D) ergänzte eine ganzheitliche Perspektive: „Ich wünsche mir, dass wir zukünftig eine gute Lebensqualität haben. Für mich gehört dazu eine saubere Luft, eine lebenswerte Natur oder auch ein harmonisches soziales Miteinander, in dem alle Menschen unabhängig von Ethnie, Geschlecht etc. sicher und willkommen sind. Kein Mensch soll leiden müssen wegen dem Handeln anderer und jeder soll dieselben Möglichkeiten haben.“ Ihr Beitrag zeigt, dass Klimaschutz nicht nur eine ökologische, sondern auch eine soziale Dimension hat. Nachhaltigkeit wird hier als umfassendes Konzept verstanden, das Umwelt, Gerechtigkeit und gesellschaftlichen Zusammenhalt verbindet.

Die Tatsache, dass der Austausch auf Deutsch stattfand, was für die einen großteils die Erstsprache und für die anderen eine Fremdsprache ist, haben die Schüler*innen unterschiedlich wahrgenommen. “Ich hatte erwartet, dass es eine große Sprachbarriere gibt, dass wir Schwierigkeiten bei den WhatsApp-Chats oder den Videocalls haben würden. Das war jetzt nicht so der Fall“, findet Beytullah (D). Sarah (D) empfand das anders: "Im Austausch habe ich auf jeden Fall gemerkt, dass die Sprachbarriere die Kommunikation sehr schwer macht, und es dadurch einfach schwer war, sich besser kennenzulernen." Für viele kamerunische Lernende bestand zum einen eine Herausforderung darin, der Sprechgeschwindligkeit der Bielefelder Schüler*innen zu folgen. Zum anderen war die Erstellung der Videos und Audios in der Fremdsprache sehr voraussetzungsreich: Die Texte wurden zunächst aufgeschrieben, einzelne Begriffe übersetzt, die Sprache überarbeitet. Einige Lernende machten mehrere Aufnahmen ihres Textes, um ihre Aussprache zu verbessern. In dieser Hinsicht verlangte das Projekt insbesondere von den kamerunischen Teilnehmenden viel Einsatz und bot ihnen zugleich die Möglichkeit, ihre Deutschkenntnisse in den Bereichen Hören, Schreiben, Sprechen und Übersetzen auszubauen.

Neben der inhaltlichen und sprachlichen Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeit führte das Projekt auch zu einer Veränderung der Wahrnehmung zwischen den beiden Gruppen. In Bezug auf seine Vorurteile gegenüber Deutschland vor dem Projekt sagt Tony Bryan (K): „Mein Vorurteil gegenüber Deutschland und insbesondere seinen Bewohnern war, dass es sich um rassistische Menschen handelt.“ Darüber waren viele der Bielefelder Schüler*innen überrascht und auch betroffen. Wir überlegten, wie dieses Bild entstanden sein könnte, und kamen zu dem Schluss, dass sicher die deutsch-kamerunische Kolonialvergangenheit, die NS-Zeit und auch aktuelle politische Entwicklungen in Deutschland zu diesem Bild beigetragen haben könnten. Bedeutsam ist jedoch, dass der Austausch mit der Bielefelder Klasse zu einer Differenzierung dieses Bildes geführt hat. Folgendermaßen führt Tony Bryan seine Reflexion zu Ende: „Ich habe viel von den Deutschen gelernt. Sie sind gastfreundlich, sehr fleißig, ich habe viel über Deutschland erfahren. Vielen Dank an die Deutschen, es war mir eine wahre Freude.“ Die Bielefelder Schüler*innen haben es durch ihr Interesse und ihre zugewandte Kommunikation geschafft, dieses Bild zu verändern und zu zeigen, dass nicht alle Deutschen Rassisten sind – nicht umsonst ist die Hans-Ehrenberg-Schule eine Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage.

Wie tief die Kolonialzeit noch immer das Denken und besonders auch das Fühlen junger Kameruner*innen prägt, zeigen auch weitere Reflexionsgedanken aus Kamerun sehr eindrücklich: „Meine Wahrnehmung der Deutschen hat sich dahingehend verändert, dass ich sie nicht mehr hasse, sondern im Gegenteil schätze", erklärt Marilyn (K). Ähnlich äußert sich Meka (K):  „Ich dachte, dass die Deutschen uns kritisierten und verurteilten und sich uns überlegen fühlten, weil ihr Land besser entwickelt ist als unseres, und auch, dass sie überhaupt keine freundschaftlichen Beziehungen zu uns pflegen wollten. Durch diesen Austausch konnte ich sehen, dass die Deutschen sehr freundliche und gesellige Menschen sind, die sich sehr für die kamerunische Kultur interessieren und mehr über Kamerun erfahren möchten."

Auch auf deutscher Seite hat ein Perspektivwechsel stattgefunden: "Kamerun ist gar nicht so unmodern, wie wir das dachten. Kamerun hat eine sehr reiche Kultur, das finde ich sehr faszinierend. Allein wie viele Sprachen dort gesprochen werden und welche Ethnienvielfalt es dort gibt, ist sehr beeindruckend. Außerdem finde ich die Menschen in Kamerun sehr warmherzig, es sind sehr offene Menschen, und dieser virtuelle Austausch war für mich sehr schön, weil ich viel über eine andere Kultur, ein anderes Land lernen konnte, und das wird immer eine gute Erfahrung für uns bleiben", sagt Laurena (D). 

„Wir haben sehr gute Erfahrungen in dem Austausch gesammelt", findet auch Dilvan (D). „Wir haben nicht nur etwas über die Armut in Kamerun gelernt, sondern auch generell über das Land, vor allem auch über das Schulsystem. Beispielsweise, dass es bis zu 120 Schüler*innen pro Klasse gibt und dass das Verkehrssystem ganz anderes ist, dass ganz viele per Taxi zur Schule fahren, und dass die Taxipreise auch anders sind. Oder auch, dass Schüler*innen im Klassenraum alle PCs vor sich stehen haben, das ist in Deutschland nicht so. Was uns in Erinnerung bleiben wird, ist vor allem das Schulsystem beispielsweise, aber auch die Bilder, die wir gesehen haben, die Bilder von der Schule. Wie engagiert die Schüler*innen aus Kamerun sich gezeigt haben, wieviel Interesse sie am Projekt hatten, und auch wieviel Spaß es uns gemacht hat."

Dieser Austausch hat somit nicht nur Wissen vermittelt, sondern auch Vorurteile abgebaut und interkulturelle Verbindungen geschaffen. Beide Gruppen waren erstaunt über die vielen Gemeinsamkeiten, die sie teilten. „Ich war überrascht, dass ihr so ähnlich seid wie wir. Dass wir die gleichen Filme und Serien schauen, aber auch ähnliche Sportarten ausüben und dass die Interessen so ähnlich sind“, meint Leon (D). Ähnlich äußert sich Audrey (K): „Ich fand es überraschend, dass die Deutschen die gleichen Hobbies haben wie wir und dass sie genauso schüchtern sein können wie wir.“

Durch diesen virtuellen Austausch wurde deutlich, dass Nachhaltigkeit nicht nur ein theoretisches Konzept ist, sondern aktiv in das tägliche Leben integriert werden muss. Die Schüler*innen haben erkannt, dass sie selbst eine Rolle bei der Gestaltung einer nachhaltigeren Zukunft spielen. Das Projekt war somit nicht nur eine akademische Übung, sondern eine inspirierende Erfahrung, die möglicherweise langfristige Auswirkungen auf das Bewusstsein und das Handeln der Teilnehmenden haben wird.

Text: Liliane Diffo und Lisa Mauritz

Hinweis: Für den Inhalt dieser Publikation ist allein die Hans-Ehrenberg-Schule verantwortlich; die hier dargestellten Positionen geben nicht den Standpunkt der Engagement Global gGmbH und des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung wieder.

 

 

 

Zurück